Philipp Riederle – Der ‚Blog-Buster‘!
Die SZ Süddeutsche Zeitung schreibt heute über Philipp Riederle:
Generation Social Media
Der Blog-Buster
Von Lisa Altmeier
In seinem Videopodcast erklärt Philipp Riederle aus Schwaben, wie iPhone und iPad funktionieren. Er erreicht mehr als eine Million Menschen pro Jahr. Foto: SZ (Screenshots)
05.06.2012
Baden-Baden – Philipp Riederle läuft vor der Leinwand eines Kinosaals in der Baden-Badener Kongresshalle hin und her: „Sie müssen persönlich und nahbar sein“, empfiehlt er Deutschlands mächtigsten Kinobesitzern. Er trägt eine Abercrombie&Fitch-Hose, Lacoste-Schuhe und ein gestreiftes Hemd. Das Hemd hat seine Mutter gebügelt. Der 17-jährige Schüler aus Burgau bei Augsburg erklärt Erwachsenen, wie junge Menschen funktionieren. Social Media und so. Er nennt sich Brückenbauer zwischen den Generationen und beginnt Sätze gerne mit den Worten: „Wir, die Digital Natives. . .“ Er ist einer dieser Jugendlichen, die in eine virtuelle Welt geboren wurden.
Seinen ersten großen Auftritt hatte Philipp vor zwei Jahren bei der Telekom. Das Unternehmen war durch seinen Videopodcast „Mein iPhone und ich“ auf ihn aufmerksam geworden. Den Podcast produziert er, seit er 13 ist – weil er im Internet zu wenig Informationen zu dem Smartphone fand, das seine Oma ihm aus den USA mitgebracht hatte. Nach dem Telekom-Auftritt engagierten ihn weitere Firmen: Audi, Daimler, BMW, Microsoft, McDonald’s, ProSiebenSat1. Mit 15 gründete er seine eigene Firma: Phipz Media. Seit Januar hat er eine Agentin, die die Termine koordiniert. So auch diesen auf der Jahresmesse der Kinobetreiber.
An diesem Vormittag in Baden-Baden hat Astrid Artelt ihn am Empfang begrüßt. Sie ist die Assistentin von Thomas Negele, dem Vorstand des größten deutschen Kinoverbands HDF: „Ich arbeite seit elf Jahren hier, aber so einen jungen Referenten wie Sie hatten wir noch nie“, sagt sie. Der Oberstufenschüler hat das schon oft gehört. Er zieht seine Lippen nach oben, als ob er lächeln würde.
Artelt führt ihn zur Technikprobe in den Saal. Die Probe hat Philipp eingefordert. Er setzt sich ein Headset auf: „Test eins, zwei, drei“, sagt er. „Oh ja, schöner komprimierter Klang.“ Alles soll sitzen für den Auftritt. Als er den Raum verlässt, fällt ihm noch etwas ein: Er läuft zurück und drückt Artelt einen Stapel Autogrammkarten in die Hand. Zum Auslegen am Empfang. Dann zieht er sich in seine Garderobe zurück und feilt am Text. Er spricht frei, macht sich aber sicherheitshalber Notizen. Philipp bläst die Wangen auf und klopft sich mit dem Kugelschreiber gegen die Stirn. In seinem Notizbuch finden sich neben Anmerkungen für Vorstandspräsentationen auch Kritzeleien aus dem Matheunterricht.
Im Block stehen Notizen für den Vortrag – und Kritzeleien aus der Mathestunde.
Auf die inhaltliche Vorbereitung folgt die optische: Er stellt sich vor den Garderobenspiegel und probiert aus, was er anzieht. Das Hemd, das Hemd und den Cardigan oder das Hemd, den Cardigan und den Schal. Er entscheidet sich für das Letztere, gelt sich das Haar und pudert sich das Gesicht, bevor er noch schnell einen Apfel isst und Wasser trinkt. Wie viel er vor dem Auftritt trinkt, wägt er immer genau ab. Schließlich muss er meistens eine Stunde lang auf der Bühne stehen.
Zu Beginn seines Vortrags will er den Zuschauern einen Ausschnitt aus der ersten Folge seines Podcasts zeigen. Doch das Video lässt sich nicht auf der Leinwand abspielen. Sie bleibt schwarz. Philipp lächelt. Etwa eine Minute brauchen die Techniker, um den Film zum Laufen zu kriegen. Er zeigt einen 13-jährigen Jungen, der ein Handy aus einem Karton packt und dazu in breitem Augsburger Dialekt erklärt, dass er gerade ein Handy aus einem Karton packt. Innerhalb weniger Stunden schauten sich das damals 500 Menschen an. In Folge zwei seines Blogs erklärte Philipp, wie man US-amerikanische Smartphones so manipuliert, dass man sie mit deutschen Sim-Karten nutzen kann. Seine Eltern, ein Innenarchitekt und eine Sozialpädagogin, hatten damals Angst, dass demnächst das FBI vor der Tür steht. Das FBI klingelte nie bei ihnen – und die Filmchen entwickelten sich zum Hit: Heute hat der Videopodcast jährlich mehr als eine Million Zuschauer. Philipp dreht ihn mittlerweile in seinem eigenen professionellen Studio. Davon zeigt er dem Publikum ein Foto.
Morgen muss Philipp eine Englischarbeit schreiben. Heute beschreibt er Kinobetreibern, was das Online-Spiel Farmville ist: „Das ist ein Spiel bei Facebook, in dem Jugendliche darum wetteifern, wer der beste Bauer mit den dicksten Kartoffeln und dem am besten genährten Vieh ist.“ Die Kinomenschen lachen. „Und jetzt kommt’s. Wer keine Lust hat, zu warten, bis die Ernte reif ist, der kann diesen Prozess beschleunigen. Und zwar mit virtuellem Dünger.“ Er rückt sein Headset zurück. „Den Dünger muss man mit echtem Geld bezahlen. Das Unternehmen Zynga, das ihn vertreibt, setzt im Jahr 1,2 Milliarden Dollar um.“ Seine Zuhörer schauen ihn an, als hätte er verkündet, dass Angela Merkel persönlich alle deutschen Kinos pink anstreichen wolle.
Philipp sieht seinen Job als Hobby. Etwa einmal in der Woche nimmt er sich schulfrei, um vor Unternehmensvorständen zu sprechen. Es würde ihn langweilen, nur zur Schule zu gehen. An einem Kongresstag lerne er so viel, wie in einem ganzen Schuljahr. Philipp hat einen Notendurchschnitt von 1,6. Für die Englischarbeit morgen hat er noch nichts gelernt. Das muss er auf der vierstündigen Zugrückfahrt machen. Aber er weiß, dass er den Stoff kann. So wie er weiß, dass er souverän Vorträge halten kann.
Zum Abschied sagt er: „Tschüss, und grüßen Sie mir bitte die Vorstände.“
Statt der angekündigten 600 Zuschauer hören Philipp heute nur etwa 70 zu. Einer von ihnen schläft sogar ein. Das ärgert Philipp, weil er es gewohnt ist, dass man ihm mehr Aufmerksamkeit entgegenbringt. Anmerken lässt er sich das während des Vortrags nicht. Nur einmal verliert er an diesem Tag die Beherrschung: Als er merkt, dass er sein Smartphone im Taxi vergessen hat: „Verdammte Scheiße“, sagt er. Seine Stimme klingt plötzlich deutlich jünger.
Im Vortrag zitiert er Studien und spricht über das Lebensgefühl junger Menschen. Einige seiner Klassenkameraden leiden unter Burn-out. Philipp sagt: „Das passiert deshalb, weil die Digital Natives unter permanentem Bewährungsdruck stehen.“ Er sieht sich selbst dabei außen vor: „Mein Job ist für mich ausschließlich positiver Stress.“
Philipp ist Oberstufensprecher an seinem Gymnasium, singt in der Musical-AG und geht gerne in die Oper. Er sagt, er konsumiere bewusst, Fernsehen schaue er kaum. Von dem Medium spricht er in dem Tonfall, in den Erwachsene gerne verfallen, wenn sie über das ominöse Internet reden. „Dieses TV“, nennt Philipp es. Gerade schreibt er an seinem ersten Buch. Inhalt noch geheim. Vermutlich etwas mit Social Media.
Nach dem Auftritt klopft Vorstandschef Negele ihm auf die Schulter. Eine Dame möchte ein Foto mit Philipp schießen, weil ihr Sohn genauso aussehe wie er. Im Hintergrund werden Nacho-, Popcorn- und Eisstände abgebaut. Philipp ist müde, aber geduldig. Er smalltalkt mit Mitvierzigerinnen, die ihn ansehen, als ob sie ihn sofort gegen ihre eigenen Kinder eintauschen wollten. „Der Junge wird mal was ganz Großes“, sagt eine Kinobesitzerin. Philipp ist weniger euphorisch, ihn ärgert es, dass so wenig Leute da waren.
Astrid Artelt ist genauso begeistert wie am Vormittag. Sie hat sich aber auch gewundert: „Sie wirken im Vortrag noch viel älter als sonst.“ Philipp reicht ihr die Hand: „Tschüss – und grüßen Sie bitte die Vorstände.“ Sie nickt: „Und Ihnen viel Glück bei der Englischarbeit.“